Der Abschuss eines russischen Kampfbombers durch das türkische Militär ist immer noch nicht geklärt. Allerdings ergeben sich durch den politischen Kontext interessante Rückschlüsse:
Erdogan und seine Partei AKP haben immer wieder zu verstehen gegeben, dass man Großreichsambitionen hat. In dem Zusammenhang ist die Unterstützung der Türkei für den Islamischen Staat interessant. Der IS liefert der AKP den Vorwand, um ein Stück Irak zu erobern und dem türkischen Territorium einzuverleiben. Gleichzeitig schwächt man Syrien in der Region und stellt sich gut mit den NATO-Partnern. Die USA und Europa wollen die Türkei aber genauso wie Syrien integrieren in eine Mittelmeer-Union. Früher galt die Türkei noch als relativ gefügig gegenüber den USA, allerdings wurde die AKP-Partei mit Erdogan immer eigensinniger und veranstaltete mehrere politische Säuberungsaktionen. Es galt als ungeschriebenes Gesetz, dass die Türkei Religion und Staat zu trennen habe. Erdogan brach mit diesem Grundsatz.
Es ist schwierig vorstellbar, dass die Türkei bewusst eine Provokation begehen wollte mit dem Abschuss eines russischen Bombers, insbesondere wenn dies so nicht mit NATO-Partnern vereinbart war. Die Türkei beschwerte sich in den vergangenen Monaten immer wieder über russische Bomber und deshalb ist es fast garantiert, dass die türkische Regierung anderen NATO-Staaten gegenüber frühzeitig angekündigt hat, was bei einer Verletzung des Luftraumes geschehen würde. Andererseits wäre eine Provokation der Türkei im Alleingang ein Pokerspiel; denn die NATO muss im gegenwärtigen Ost-West-Konflikt Geschlossenheit demonstrieren, egal was passiert. So könnte man Russland eins auswischen, ohne dass Russland in größerem Umfang reagieren kann, denn die Sanktionen wegen der Ukraine-Krise wiegen einfach zu schwer und die militärischen Abenteuer Russlands sind zu teuer.
Auch wenn der AKP die neue internationale Anti-Terror-Koalition nicht gefällt, weil dabei zuwenig für die Türkei herausspringen könnte, so macht es für die Türkei keinen Sinn, es zu riskieren, sich von den Supermächten zerreiben zu lassen.
Die AKP würde durch Spannungen und eine äußere Bedrohung durch Russland wohl mehr Unterstützung aus der Bevölkerung erhalten. Erst kürzlich wurden verbleibende Medien vom Staat schlichtweg gekapert und auf Linie gebürstet. Trotz alledem versprach Merkel neue Schritte auf dem Weg einer Anbindung der Türkei an die Europäische Union, ohne dabei den Begriff Mittelmeerunion zu verwenden, wie etwa den Wegfall der Visumspflicht für Türken, die in EU-Staaten reisen wollen.
Hat die AKP einen Deal abgeschlossen im Bezug auf die Mittelmeer-Union, oder ist das nur ein Täuschungsmaneuver, um möglichst viel für die türkischen Großmachtsambitionen herauszuholen? Die nächsten Tage und Wochen werden mehr enthüllen. Eine weitere Möglichkeit: Russland provozierte den Vorfall in heimlicher Absprache mit den USA, um die Türkei wieder tiefer in das NATO-Bündnis hineinzutreiben, damit kein unabhängigerer Staat wie die Türkei das Gleichgewicht der Supermächte USA und Russland gefährdet.
Die Türkei und Russland waren vor langer Zeit eigentlich Partner und wurden zu erbitterten Feinden, die den gewaltigen Krimkrieg heraufbeschworen.