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Skandalumwitterte SPD-Ikone Egon Bahr ist tot

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360b / Shutterstock.com

Kommentar

Egon Bahr, Spitzname „Tricky Egon“, verstarb im Alter von 93 Jahren an einem Herzinfarkt. Er war einer der entscheidenden Architekten von Kanzler Brandts verheerender Ostpolitik. Sein „besonderer“ Kanal zu Moskau, über den auch Brandt ohne Kontrollen mit Breschnew sprechen konnte, sorgte im Nachhinein für einige Skandale. Insbesondere seine Rolle bei dem Scheitern des Misstrauensvotums gegen die Regierung Brandts steht hier im Fokus. Brandt heißt in Wirklichkeit Herbert Frahm und er arbeitete vor seiner Politkarriere konspirativ für diverse Gruppen.

Tricky Egons Liebesgrüße nach Moskau reichten offenbar bis in die heutige Zeit, so war er sich nicht zu schade, neben russischen Polit-Schranzen bei der „COMPACT-Konferenz für Souveränität“ des Kreml-Propagandisten Jürgen Elsässer aufzutauchen. Was das deutschnationale Publikum interessieren dürfte, ist dass ausgerechnet Bahr sich früher in höchsten Maße dafür eingesetzt hat, Ostdeutschland unter sowjetischer Kontrolle zu belassen. Nach der Konferenz erklärte er gegenüber der Berliner Zeitung, warum er dorthin gegangen war:

Ich wollte Herrn Jakunin kennenlernen. Weil ich weiß, dass der Wladimir Putin sehr nahe steht.

Konnten Sie mit ihm sprechen?

Natürlich.

Haben Sie neue Erkenntnisse gewonnen?

Ich war beeindruckt, dass er sich in seinem Vortrag darauf konzentriert hat, die kulturelle Nähe Russlands und Deutschlands in den letzten 100 Jahren zu betrachten. Wir haben uns dann kurz bei einer Erbsensuppe getroffen. Er hat mir seine Telefonnummer gegeben und mich zu einem Gespräch in Moskau im kommenden Frühjahr eingeladen.

Die kulturelle Nähe Russlands und Deutschlands? Wo ist denn diese kulturelle Nähe? War sie an der Berliner Mauer? Bei dem SED-Besatzerregime in Ostdeutschland? Er malte er sich Wege aus auf denen Deutschland aus der NATO austreten könnte. Ein solcher Schritt würde freie Bahn für Moskau bedeuten, Europa einzunehmen.

Die Faz war wenig begeistert über seine Memoiren:

Kaum glaublich, aber in Bahrs Memoiren findet sich kein Wort über die Führungs- und Richtungskämpfe, die das Moskauer Politbüro in den sechziger und siebziger Jahren erschütterten; nichts von der konsequenten Ausschaltung all derer, die Breschnew in die kollektive Kremlführung einbinden wollten und sich seinem Griff nach der Alleinherrschaft widersetzten. Kein Wort von Breschnew als dem Würger von Prag und dem Schlächter von Afghanistan; nichts von Rüstungsexpansion, Revolutionsexport und wirtschaftlicher Stagnation der Breschnew-Ära. Dafür das ganze auf sozialdemokratische Gemütsbedürfnisse zugeschnittene idyllische Bild einer sowjetischen Friedensmacht. Gehirnwäsche in Vollendung!

Nach Kriegsende arbeitete Bahr zunächst als Reporter der kommunistischen „Berliner Zeitung“, um wenig später verblüffenderweise zu dem amerikanischen Besatzer-Sender RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor, eingerichtet von der amerikanischen Militärverwaltung) in West-Berlin überzuwechseln. Die erste Ausgabe der Berliner Zeitung erschien am 21. Mai 1945 mit vier Seiten und der Schlagzeile Berlin lebt auf! zum Preis von 10 Pfennig. Anfangs trug sie den Untertitel „Organ des Kommandos der Roten Armee“. Erster Chefredakteur war der sowjetische Oberst Alexander Kirsanow. Die Redaktion setzte sich aus sowjetischen Offizieren, ehemaligen Widerstandskämpfern und Mitgliedern der KPD zusammen. 1953 wurde die Berliner Zeitung dem Zentralkomitee der SED unterstellt. Es folgten zehn Bonner Korrespondentenjahre mit einem kurzen Zwischenspiel als Chefredakteur des RIAS. 1960 stieß er zu Willy Brandt, der ihn zum Senatspressechef machte.

Nach der Bundestagswahl 1969 wurde er Staatssekretär im Bundeskanzleramt und zugleich Bevollmächtigter der Bundesregierung in Berlin. In dieser Funktion wirkte er als Unterhändler in Moskau und Ost-Berlin maßgeblich am Moskauer Vertrag, Warschauer Vertrag, Transitabkommen sowie dem Grundlagenvertrag mit. Bahr wird daher als „Architekt der Ostverträge“ bezeichnet. Diese Verträge waren alle nach dem Geschmack des Kremls:

  • Moskauer Vertrag: Es wurden die Oder-Neiße-Linie als Westgrenze der Volksrepublik Polen und die Grenze zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland als unverletzlich erklärt. Keine guten Vorzeichen für eine Wiedervereinigung und einen Abzug der sowjetischen Besatzer.
  • Warschauer Vertrag: Darin sicherte die Bundesrepublik die auf der Potsdamer Konferenz zwischen den Siegermächten vereinbarte Oder-Neiße-Linie faktisch als Westgrenze Polens zu. Eine deutliche Absage an eine mögliche Rückgabe der deutschen Ostgebiete in den Grenzen von 1937.
  • Grundlagenvertrag: In Artikel 5 versprechen die beiden Staaten, dass sie sich am Prozess der Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa beteiligen und die Abrüstungsbemühungen unterstützen werden. In Artikel 1 wird die Entwicklung „gutnachbarlicher Beziehungen auf gleichberechtigter Basis“ vereinbart.In Artikel 7 werden Abkommen über Zusammenarbeit auf einer Reihe von Gebieten (unter anderem Wirtschaft, Wissenschaft, Post- und Fernmeldewesen, Kultur und Sport) in Aussicht gestellt. Die CDU/CSU-Fraktion hatte Vorbehalte gegen den Vertrag, da er wesentliche Punkte nicht enthielt: Zum Beispiel wurde er nicht unter den Vorbehalt eines anzustrebenden Friedensvertrags gestellt, es wurden keine Regelungen über den Status von Berlin getroffen, und die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte wurden nicht erwähnt. Die menschlichen Erleichterungen würden nicht ausreichend abgesichert und Begriffe wie Einheit der Nation, Freiheit und Menschenrechte würden nicht oder nur ungenügend behandelt. Der Vertrag wurde jedoch mit 268 gegen 217 Stimmen vom Deutschen Bundestag ratifiziert. Im Bundesrat wurde er von der Mehrheit der CDU/CSU-regierten Länder abgelehnt. Da jedoch eine Überweisung an den Vermittlungsausschuss nicht beschlossen wurde, war das Gesetz verabschiedet.

Die ZEIT fragte 1995:

War Egon Bahr ein Mann des sowjetischen Geheimdienstes? Hat Wjatscheslaw „Slawa“ Keworkow versucht, ihn zu werben? Der Befragte, ein freundlicher Herr von 71 Jahren, Exgeneral des KGB und heute Itar-Tass-Korrespondent in Bonn, mag darüber nur lachen. […] Wie kommt es aber, daß sie im KGB für Bahr angeblich einen Decknamen („David“) hatten? Nikolaj Portugalow, in den siebziger Jahren sowjetischer Korrespondent in Westdeutschland, später ZK-Mitarbeiter in Moskau, schreibt davon in einem Buch, von dem bisher nur Zitate kursieren.

Bahr widersprach natürlich und meint, nur einen besonderen Kanal mit Moskau gehabt zu haben. Der Focus berichtete:

Wegen seiner engen Kontakte zum sowjetischen Unterdrücker-Apparat KGB (FOCUS 6/1995) in den 60er und 70er Jahren geriet Bahr in der vergangenen Woche in Bedrängnis (siehe Seite 31).

Anfangs schimpfte Bahr noch auf „dieses komische Magazin“. Später gestand er kleinlaut ein, daß er, wie in FOCUS dargestellt, bei den Verhandlungen um den Moskauer Vertrag in der Tat sehr vertraut mit KGB-General Keworkow umgegangen sei.

Als ein Bonner Admiral vertraulich über die NATO-Doktrin klagte, gab Bahr laut einem geheimen Protokoll diese Information an Ostberlin weiter. Es ist nicht bekannt, ob die Stasi danach auf den Admiral zugegangen war.

Der SPIEGEL berichtete:

Auch Bahr verfügte über keine speziellen Ost-Kenntnisse, kannte Rußland nicht und gab sich damals noch dem Köhlerglauben hin, in der UdSSR herrsche Ordnung, nichts Wichtiges verlaufe unkontrolliert und ungeplant, Lednew komme von Kossygin. Als Rias-Kommentator hatte er bis 1960 heftig Kalten Krieg betrieben, wurde dann Pressesprecher des Berliner Regierenden Bürgermeisters Brandt und entwickelte 1963 die Königsidee vom „Wandel durch Annäherung“, den freilich längst linke Sozialdemokraten in Berlin praktizierten und den US-Präsident John F. Kennedy zur Strategie erklärt hatte („peaceful change“).

Das Misstrauensvotum gegen Willy Brandt 1972 scheiterte, weil sich mindestens ein Bundestagsabgeordneter bestechen ließ. Stasi-Dokumente belasteten Egon Bahr. Die Historikerin Daniela Münkel von der Jahn-Behörde ist auf die Papiere gestoßen bei Recherchen für ihr Buch „Kampagnen, Spione, geheime Kanäle. Die Stasi und Willy Brandt“.

Der Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Karl Wienand wurde später beschuldigt, den CDU-Abgeordneten Julius Steiner bestochen zu haben, nicht für Barzel zu stimmen. In den 1990er Jahren wurde bekannt, dass Steiner das Bestechungsgeld vom Ministerium für Staatssicherheit erhalten hatte; ob er zusätzlich auch Geld von Wienand erhielt, blieb ungeklärt.

So verlangte beispielsweise der Staatssicherheits-Minister Erich Mielke 1970 auf einer Geheimkonferenz in Moskau, dass die Ratifizierung der Ostverträge mit allen nachrichtendienstlichen Mitteln zu unterstützen sei. Außerdem habe, so berichtet der damalige Spionagechef Markus Wolf, der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid Breschnew persönlich die DDR-Führung davon überzeugt, Brandt beim Misstrauensvotum unter die Arme zu greifen.

Ein ehemaliger KGB-Mann enthüllte 1995, er habe dem SPD-Unterhändler Egon Bahr eine Million D-Mark geben wollen; mit dem Geld sollte dieser Abgeordnete der Opposition bestechen. Bahr lehnte jedoch angeblich ab.

Tricky Egon mischte weiter mit in der Polit-Welt und suchte den Kontakt zum Putin-Intimus Jakunin.

wikipedia-Zitate unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ 

AlexBenesch
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