spot_img

Kreml macht seine Opposition in Tschetschenien verantwortlich für Mord am Oppositionellen Nemzow

Datum:

Am neunten Tag nach dem Mord an dem führenden russischen Oppositionellen Boris Nemzow präsentierten die Behörden nun fünf Verdächtige – allesamt Tschetschenen aus der Kaukasus-Region.

Die in Russland immer wieder beschworene Gefahr durch muslimische Terroristen vor der eigenen Haustür geht zurück auf eine Serie an Bombenanschlägen auf Wohnblöcke in Moskau im Jahr 1999, die den neuen Präsidenten Putin von einer lahmen Ente zu einem autoritären Führer machte und den zweiten Tschetschenienkrieg einleitete. Viele vermuten den Sicherheitsdienst FSB hinter dem Terror:

Einer der Verdächtigen im Nemzow-Mord ist Zaur Dadayev, Berichten zufolge ein ehemaliger stellvertretender Bataillonskommandant in Tschetschenien. Eine Sprecherin des Gerichts in Moskau verkündete, Dadayev hätte gestanden, während es in anderen Berichten heißt, er würde immer wieder nur einen religiösen Satz über den Propheten Mohammed wiederholen.

Die anderen vier Verhafteten, Anzor Gubashev, Shagid Gubashaev, Tamerlan Eskerkhanov und Khamzat Bakhayev erklärten sich für unschuldig. Kritiker aus dem In- und Ausland werfen der Regierung vor, sie hätte nicht nur selbst den Mord durchführen lassen, sondern würde nun im Anschluss auch noch ihre Feinde im Kaukasus dafür verantwortlich machen.

Es stellt sich bei den Verhafteten die Frage nach dem Motiv: Warum sollten Tschetschenen einen russischen Oppositionsführer ermorden? Der Kreml und seine Medien erklärten dazu recht dünn, die Absicht sei gewesen, Putin damit schlecht aussehen zu lassen. Außerdem hätte ein Ermittler durchsickern lassen, dass sich Zaur Dadayev von Nemzows Kommentaren über den Islam beleidigt fühlte. Diese Erklärung ist allerdings noch viel dünner, da der Islam nie zu Nemzows Kernthemen gehörte und er sich nur beiläufig im Januar zu den Pariser Anschlägen auf die Redaktion von Charlie Hebdo äußerte. Sogar die Muftis in Russland verurteilten die Anschläge.

Auf Bilder, die die Verdächigen eindeutig am Tatort zeigen, warten wir wohl vergeblich, denn mehrere Überwachungskameras in der Sicherheitszone um den Kreml hätten genau zur Tatzeit eine Betriebssstörung gehabt. Es dauerte verdächtig lange, bis es überhaupt eine Reaktion von Sicherheitspersonal gab. Außerdem wird gemeinhin angenommen, dass Nemzow auf Schritt und Tritt von den russischen Behörden verfolgt wurde.

Der tschetschenische Herrscher und Putin-Freund Ramsan Kadyrow stützt das offizielle Narrativ. Er ist der Chef der Sicherheitstruppe Kadyrowzy, der seitens Menschenrechtsorganisationen verschiedene Verbrechen gegen Zivilisten zur Last gelegt werden, wie beispielsweise Entführungen, Totschlag und Folter. Im Dezember 2004 wurde Ramsan Kadyrow durch einen Erlass des damaligen russischen Präsidenten, Wladimir Putin, die Auszeichnung Held der Russischen Föderation verliehen. Kadyrow war ab März 2006 Premierminister der russischen Kaukasus-Republik Tschetschenien. Am 2. März 2007 wählte ihn das tschetschenische Parlament auf Vorschlag des russischen Staatschefs Putin zum Präsidenten des Landes

Putin war zunächst eine wackelige Figur, die von Boris Jelzin als Nachfolger auserkoren wurde und dessen Rivalen ihn schnellstmöglich wieder loswerden wollten. Niemand erwartete, dass der in der Bevölkerung unbekannte Putin sich lange halten würde. Putin bekam mit den Anschlägen auf Wohnhäuser in Russland 1999 gewaltigen Auftrieb, um seine Konkurrenten loswzuwerden, mit einem Krieg gegen Tschetschenien die Ex-Sowjet-Region wieder einzufangen, eine hohe Beliebtheit zu erlangen und im Inland einen diktatorischen Kurs zu fahren.

Die Russen eroberten die islamisch geprägte Gegend Tschetschenien rücksichtslos im Jahr 1864, schlugen einen Aufstand 1877/1878 nieder, erklärten sie 1921 zur “sowjetischen Gebirgsrepublik”, deportierten 1944 zwangsweise insgesamt 400.000 Tschetschenen in Viehwaggons nach Kasachstan und Mittelasien, und lehnten auch nach 1990 die Soveränität Tschetscheniens ab und schickten Panzer und Truppen dorthin. Weder der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow noch sein Nachfolger, der russische Präsident Boris Jelzin, erkannten die Unabhängigkeit des Staates an.

Nach dem ersten erfolglosen Tschetschenienkrieg erkannte Russland zwar immer noch nicht formell die Unabhängigkeit der Region an, akzeptierte aber die dortige Regierung als Verhandlungspartner. Es machte aus Sicht der tschetschenischen Führer keinen strategischen Sinn, die Anschläge 1999 auf Wohnblocks im russischen Moskau zu verüben.

Die Vermutung ist stattdessen, dass einflussreiche Kreise in Russland frühzeitig die Anschläge selbst planten, um einerseits Putins Herrschaft zu zementieren, und andererseits um den Vorwand zu haben, einen zweiten Tschetschenienkrieg zu beginnen. Was diese Pläne am meisten begünstigte, war dass der Terrorfürst Schamil Bassajew allem Anschein nach ein russischer Agent war. Torsten Mann schreibt in seinem Buch Weltoktober:

„Sowohl über Schamil Bassajew als auch über seinen Bruder Schirwani ist bekannt daß diese in der Vergangenheit bereits für die sowjetische [Geheimdienstgruppe] GRU gearbeitet haben. Auch der erste ‚unabhängige‘ Präsident Tschetscheniens, Dschochar Dudajew, hat eine bermerkenswerte Vergangenheit als General der sowjetischen Luftwaffe und Kommandeur einer Division nuklear bewaffneter Langstreckenbomber hinter sich. Auch soll vor dem Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges im Sommer 1999 in Frankreich ein Treffen zwischen Schamil Bassajew einerseits und Boris Beresowski sowie Jelzins Stabschef Alexander Woloschin andererseits stattgefunden haben, bei dem Absprachen für einen neuen Krieg in Tschetschenien getroffen worden sein sollen, für den Bassajew mit russischen Waffen und Finanzmitteln ausgerüstet wurde. Das bedeutet dass der neue Krieg vom Kreml bereits lange Zeit vor den Anschlägen geplant worden war, was Sergei Stepaschin, der damalige Chef des FSB, im Frühjahr 2000 auch tatsächlich zugab.“

Der bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommene russische Genral Alexander Lebed sagte gegenüber der französischen Zeitung Le Figaro, er sei beinahe davon überzeugt, dass die russische Regierung den Terror gegen ihre eigenen Bürger organisiert habe. Ein russischer, in Tschetschenien eingesetzter Offizier der Luftlandetruppen, erklärte, dass die Tschetschenen im Vorfeld über russische Operationen Bescheid wussten.

Der tschetschenische Präsident Aslan Maschadow ging davon aus, dass die Rebellen rund um Bassajew von Moskau aus gesteuert und finanziert wurden. Der tschetschnenische Mufti Kadyrow meinte, dass eingeschleuste russische Provokateure den Krieg begonnen hatten und der russische Genralstab den Konflikt auf beiden Seiten kontrolliere. Der Militärexperte Alexander Golz erklärte, der Konflikt habe den Zweck erfülllt, alte Waffen und Munition zu verbrauchen und den russischen Soldaten eine bessere Militärausbildung angedeihen zu lassen.

AlexBenesch
AlexBenesch
Senden Sie uns finanzielle Unterstützung an: IBAN: DE47 7605 0101 0011 7082 52 SWIFT-BIC: SSKNDE77 Spenden mit Paypal an folgende Email-Adresse: [email protected]
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img

Related articles

Geheimdienste sollen verdeckte russische Finanzierung für Politiker in Europa aufgedeckt haben

Kommentar "Voice of Europe" schien wie eine typische, pro-russische Nachrichtenseite im Internet mit entsprechenden Beiträgen und Interviews mit europäischen...

Recentr LIVE (26.03.24) ab 19 Uhr: Dunkelfeld

Wir leben in einem Zeitalter, in dem die Menschen die falschesten Vorstellungen von den drei Supermächten besitzen. https://youtu.be/Q87IgKxwsQo

Islamischer vs. westlicher Globalismus

Propaganda aus der muslimischen Welt enthält viele Elemente, die auch westliche Sozialisten verwenden, und solche, die bei westlichen...

ISIS-K ist Russlands nächstes Problem

Kommentar Russland unter den Zaren träumte davon, das ottomanisch-islamische Kalifat zu zerstören und zu übernehmen. In der sowjetischen Phase...