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Wie Blogger mit Fake-Besucherzahlen angeben

Datum:

Foto: Terrakotta-Armee

Alexander Benesch

Immer wenn mich jemand fragt, wie groß mein Publikum ist, gebe ich meine Standardantwort: Ich weiß es nicht und eine genaue Marktforschungsanalyse kostet zuviel Geld. Andere Schreiber prahlen mit mehreren zehn Millionen „Zugriffen“ oder „Klicks“ in einem Zeitraum von ein paar Jahren und halten sich schon alleine deshalb für bedeutende Personen der Zeitgeschichte. Versuchen diese Blogger allerdings, ihren Blog zu monetisieren oder anderen Support für Projekte zu gewinnen, sind sie überrascht und perplex, wie wenig Unterstützung da eigentlich kommt.

Was hat es nun mit den tollen Zahlen auf sich? Die kurze Antwort lautet: Das Meiste ist fake und viele wissen es auch. Die Zähler bei den populären Blog-Hosting-Portalen übertreiben bis um den Faktor zehn, um die Blogger bei der Stange zu halten und jenen ein Gefühl von Wichtigkeit zu vermitteln. Schätzungen wie von CNET gehen außerdem davon aus, dass zwischen 30 und 51% des gesamten Traffics vieler kleiner und mittelgroßer Webseiten von Bots, Scrapern und Spammern kommt.

Auch Bewertungsportale wie Alexa werden immer cleverer im Herausrechnen von Fake-Zugriffen. Kein Wunder, dass so mancher Blog scheinbar abgeschmiert ist. Es sind nicht viele Leser davongelaufen, sondern viele Leser waren in Wirklichkeit nie vorhanden. Von den verbleibenden echten Besuchern manipulieren manche absichtlich mit trickreichen Browser-Plugins die Zugriffszahlen. Manch ein Fan einer Seite meint, damit die Seite „zu unterstützen“, und so wird die Seite automatisiert in mehreren Browser-Tabs wieder und wieder und wieder geladen. Das ging lange Zeit auch mit Youtube-Videos. So mancher neue Filmemacher hielt sich wegen hunderttausenden oder mehreren Millionen Zugriffen für den nächsten Superstar, dabei wurden die meisten Views von wenigen Computern generiert. Es ist die Norm geworden, bei Youtube zu schummeln und für Schummelei zu bezahlen, heutzutage muss man aber mehr dafür löhnen, weil Youtube schlauer geworden ist.

Hat man viele Views, gilt das Video als „heiß“ und wird zumindest mehr echten Besuchern empfohlen. Interessanter ist es zu wissen, wieviele tatsächliche Minuten Leute auf dem eigenen Youtube-Kanal Videomaterial gesehen haben.

Rechnet man diese Formen von Schummeleien heraus, hat man noch geringere echte Besucher- und Zugriffszahlen.  Von den verbleibenden echten Besuchern eines Blogs besuchen einige wiederum den Blog nur extrem kurz, gemeint sind 30 Sekunden oder nur 10 Sekunden. Das reicht nicht, um einen einzigen Blogeintrag wirklich zu lesen, der Besucher schaut also nur kurz rein, liest die aktuellen Überschriften und geht wieder. Echte „Leser“ sind das nicht. Viele weitere „Leser“ bleiben nur 1 Minute, oder vielleicht 2, oder 3.

Rechnet man diese Kurz-vorbei-Schauer raus, hat man eine noch geringere Zahl echter „Leser“. Viele davon klicken ein paar mal am Tag auf Refresh und erzeugen somit mehr Klicks. Das summiert sich pro Tag, pro Woche, Monat und Jahr. So kommen die „spektakulären“ Klickzahlen zusammen.

Es bleibt eine geringe Zahl echter Leser übrig, von der wieder nur ein kleiner Bruchteil bereit ist, für die Artikel zu bezahlen oder anderweitig Unterstützung zu leisten, die über bloßes Facebook-Like-Button-Klicken hinausgeht. Die Bühne namens Blog wird schnell zu einer seltsamen Echokammer, die Publikumstribühne zu einer Armee von Terrakotta-Soldaten. Der Versuch einer Monetisierung des Blogs wird so oft zur herben Enttäuschung.

Der enttäuschte Blogger erklärt also irgendwann trotz seiner Abermillionen „Klicks“, sich teilweise zurückzuziehen. Meist merkt man vorher schon, dass die journalistische Arbeitsleistung reduziert und zusammengestrichen wurde. Keine irgendwie tiefgreifende Recherche oder Analysen, nur noch ein wenig in den Blog-Posts pöbeln, wie scheiße und verlogen doch der Westen ist, alles schnell in die Tasten gehauen, schnell korrekturlesen und raus damit. Man wälzt auf andere Amateure Arbeit ab und kassiert wenigstens noch Google-Adsense-Kohle. Die Hoffnung, kompetente Autoren zu finden die umsonst und zuverlässig Arbeit leisten, ist längst aufgegeben. Zuviele schlechte Erfahrungen mit Freiwilligen wurden gemacht.

Wer halbwegs kompetent über mehrere oder gar viele verschiedene Themen schreiben will, der muss das nun einmal Vollzeit machen. Das ist einfache Mathematik. Pro Woche 15 Stunden Bücher-Recherche plus 15 Stunden Zeitungs/Netzrecherche, was ein nacktes Minimumpensum ist, macht zusammen schon 30 Arbeitsstunden. Dann hat man aber noch nicht eine einzige Sache geschrieben. Kommen noch 15 Stunden pro Woche Schreibzeit dazu, sind das 45 Stunden. 45 Stunden Journalist-Sein plus 40 Stunden Arbeit woanders um die Rechnungen zu bezahlen macht 85 Stunden pro Woche oder 12,14 Arbeitsstunden netto pro Tag. Nicht miteingerechnet sind Pausen, Zur Arbeit fahren und zurück.

Wenn die Blogger zuwenig Zeit aufwenden, um Neues oder Relevantes zu produzieren, liest das Publikum auch immer weniger und meint, mit dem Lesen der Überschriften sei es getan. Die „Leser“ lesen also kaum noch wirklich die Artikel von Bloggern, welche wiederum selbst nur ein paar wenige Artikel lesen, aber keine Bücher. Wegen den öffentlich genannten Abermillionen an Klickzahlen und einzelnen in den Massenmedien herumgereichten Blogger-Superstars oder Youtube-Millionären versuchen sich immer mehr neue Amateure am Bloggen. Für den „Anfangserfolg“ reicht es meist, ein paar Monate jeden Tag irgendwas zu posten. So gibt es dann immer mehr winzige Nischen-Blogs und jeder Leser kann sich den gewünschten Mix aus Fakten und himmelschreiendem Unfug raussuchen. Ironischerweise haben es gerade diejenigen Autoren am schwersten, die ihren Job am besten machen und am akkuratesten berichten und analysieren, denn gerade die fähigen Autoren werden unweigerlich einem Haufen Ansichten ihrer Leser widersprechen.

AlexBenesch
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