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Verliert der SPIEGEL endlich die Deutungshoheit über den Reichstagsbrand?

Datum:

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Alexander Benesch

Selbst den Öffentlich-Rechtlichen von 3sat ist es inzwischen zu bunt geworden mit dem SPIEGEL und dessen dreister Geschichtsdarstellung über den Reichstagsbrand. Hersch Fischler recherchiert seit 20 Jahren zum Reichstagsbrand und stößt auf immer mehr bislang unentdeckte oder verschwiegene Quellen:

„Im Protokoll der Reichsgerichtverhandlungen gegen van der Lubbe im Jahr 1933 sagte der in der Brandnacht ermittelnde Komissar Walter Zirpins, dass er wegen Zeitmangels die Frage nach Mittätern nicht habe untersuchen können. Auch sein Kollege Helmut Heisig sagte nichts zur Alleintäterschaft van der Lubbes aus. Und dennoch hat der „Spiegel“ die beiden 1959 zu Kronzeugen seiner elfteiligen Serie gemacht. Hat das Magazin Fakten nicht sorgfältig überprüft?“

Anfang der 1960er Jahre stellten zunächst der niedersächsische Verfassungsschutz-Beamte Fritz Tobias unter Bezug auf Walter Zirpins, einem leitenden Ausbilder von NS-Kriminalisten, unterstützt von dem Berufshistoriker Hans Mommsen die Nazi-Täterschaft in Frage, initiiert durch eine Serie im Spiegel.

1940 verfolgte der SS-Mann als Chef-Ermittler Juden im Ghetto Lodz. Doch seiner Karriere nach dem Krieg schadet das nicht. „Der ‚Spiegel‘ hat den Zirpins 1951 zur Wiedereinstellung empfohlen“, sagt Hersch Fischler, „als einen unbelasteten und höchst qualifizierten Kriminalkommissar. Und der ‚Spiegel‘ hatte auch Erfolg. Er wurde wieder eingestellt, er wurde faktischer Leiter des LKA in Niedersachsen aus dem Innenministerium heraus und er wurde ‚Spiegel‘-Informant.“

Im SPIEGEL hatte schon am 16. Januar 1957 Paul Karl Schmidt, der während der Zeit des Nationalsozialismus als Pressechef im Auswärtigen Amt tätig war, die These von der Alleintäterschaft van der Lubbes vertreten; er betreute zeitweise auch das Manuskript von Fritz Tobias für die Reichstagsbrandserie des Spiegels redaktionell.

In den 1950er Jahren schart Augstein erfahrene Kriminalisten aus der NS-Zeit um sich – sie bringen mit ihrem Insider-Wissen die Stories, die er für den Erfolg brauchte. Ehemalige SS-Geheimdienstler wie Georg Wolff oder Horst Mahnke steigen 1959 beinahe in die Chefredaktion auf.

Der ehemalige SS-Obersturmbannführer Dr. Paul Karl Schmidt alias Paul Carell war seit 1940 Leiter der Presse- und Nachrichtenabteilung im Auswärtigen Amt unter dem später in Nürnberg gehängten Kriegsverbrecher Ribbentrop. Eine „Notiz für Herrn Staatssekretär“ („Geheime Reichssache!“) vom 27. Mai 1944 macht überdeutlich, dass Schmidt bestens bewandt war in der Technik, Verbrechen zu inszenieren um sie seinen Gegnern anzuhängen:

„Aus einer recht guten Übersicht über die laufenden Judenaktionen in Ungarn entnehme ich, dass eine Großaktion auf die Budapester Juden geplant ist. Die geplante Aktion wird in ihrem Ausmaß im Ausland große Beachtung finden  und sicher Anlaß zu einer heftigen Reaktion bilden. Die Gegner werden schreien und von Menschenjagd usw. sprechen. Und unter Verwendung von Greuelberichten die eigene Stimmung und auch die Stimmung bei den Neutralen aufzuputschen versuchen. Ich möchte deshalb anregen, ob man diesen Dingen nicht vorbeugen sollte dadurch, dass man äußere Anlässe und Begründungen für die Aktion schafft, z.B. Sprengstofffunde in jüdischen Vereinshäusern und Synagogen, Sabotageorganisationen, Umsturzpläne, Überfälle auf Polizisten, Devisenschiebungen großen Stils mit dem Ziele der Untergrabung des ungarischen Währungsgefüges. Der Schlußstein unter eine solche Aktion müßte ein besonders krasser Fall sein, an dem man dann die Großrazzia aufhängt.“

1962 überprüfte Hans Schneider im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) die Arbeit von Tobias. Er bewertete einige Belege als nicht korrekt, wies Tobias Manipulationen nach und kam zu anderen Schlussfolgerungen, nämlich, dass van der Lubbe nicht Alleintäter gewesen sein könne. Schneider konnte seine Arbeit nicht fristgerecht fertigstellen. Der ebenfalls für das IfZ tätige Hans Mommsen schlug vor, die Veröffentlichung „aus allgemeinpolitischen Gründen“ zu verhindern und nötigenfalls Druck auf Schneider über dessen Vorgesetzte im Schuldienst auszuüben, damit er seine Stellungnahme auch nicht anderweitig publiziere. Die Institutsleitung nahm im Jahr 2001 dazu Stellung und befand, dass diese Äußerungen von Hans Mommsen „unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten völlig inakzeptabel“ seien. Zugleich erklärte sie, das Rohmanuskript Hans Schneiders „war und ist nicht publikationsreif“.

Um die Dokumentation Schneiders publikationsreif zu machen, hätte eine Lektorierung genügt, aber die IfZ-Leitung wollte eine Veröffentlichung um jeden Preis verhindern. Warum sich das IfZ entgegen vorheriger Überzeugung auf die Seite von Tobias schlug, blieb offen. Aktenkundig ist, dass sich der damalige Institutsleiter Krausnick von Tobias bedroht fühlte, weil dieser unter „eklatantem Missbrauch seiner dienstlichen Möglichkeiten sich zu rein privaten Zwecken Material über die Vergangenheit einer Reihe von Personen verschafft“ habe.

Gegen die Einzeltäterthese wandte sich auch ein 1968 in Luxemburg entstandenes Internationales Komitee zur wissenschaftlichen Erforschung der Ursachen und Folgen des Zweiten Weltkrieges, das in den 1970er-Jahren Dokumente vorlegte, die eine Verantwortung der Nationalsozialisten belegen sollten. Befürworter der These von der nationalsozialistischen Täterschaft wie Walther Hofer, Edouard Calic und Golo Mann führten dabei auch „volkspädagogische“ Argumente an.

In einem 1986 erschienenen Sammelband, der erneut Argumente gegen die Täterschaft der Nationalsozialisten vorbrachte, warf der Berliner Historiker Henning Köhler dem Luxemburger Komitee massive Fälschung von Quellenmaterial vor, was die Debatte stark emotionalisierte. Die Gegner des Komitees sahen sich in ihren Vorwürfen bestätigt, als dessen Vertreter dem Bundesarchiv keine Originaldokumente vorlegen konnten, da diese nach der Einsichtnahme vernichtet worden seien.

Auch Jahrzehnte später bestritten Historiker, Physiker und Brandexperten die Möglichkeit, dass der stark sehbehinderte van der Lubbe den Plenarsaal des Reichstages wie angegeben alleine in zwanzig Minuten und nur mit Kohleanzündern habe in Flammen setzen können. Unmittelbar nach dem Brand waren sowohl ein Feuerwehrmann als auch der Oberbranddirektor davon ausgegangen, ein Einzelner hätte diesen Brand nicht tätigen können. Die Bezweifler der Alleintäterschaft van der Lubbes sehen sich durch Befunde neu aufgebrachter Quellen in ihrer Analyse bestätigt. Die Vertreter der Alleintäterschaftsthese jedoch halten diese Beweisführung für unstimmig und gescheitert.

3sat Kulturzeit stieß beim SPIEGEL auf eine Mauer:

Wie sich die Mentalität von NS-Netzwerken auf die „investigative“ Berichterstattung des frühen „Spiegel“ ausgewirkt hat, lässt sich letztlich nur aufklären, wenn das Magazin seine Archive vollständig öffnet. Ein Interview mit Kulturzeit hat die Chefredaktion des „Spiegel“ abgelehnt, Fragen blieben unbeantwortet.

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