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Rezension von: "Die Vereinigten Staaten von Europa" Teil I

Datum:

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Von Alexander Benesch

Normalerweise sind Enthüllungsbücher über Themen wie die EU aus einer linken ideologischen oder einer erzkonservativen Perspektive heraus geschrieben, oder aber es handelt sich um den in Europa dominierenden Verschwörungstheoretiker-Mischmasch aus altem Bilderberger-Material, Esoterik und den Protokollen von Zion.

Die linken Enthüller schreiben, dass wir deshalb in der Misere gelandet sind, weil die Leute sich von den sozialistischen Prinzipien abgewandt hätten. Nur ein kommunistisches Revival könne Abhilfe schaffen. Die Erzkonservative wollen wiederum die Menschen mit ihrem Way of Life zwangsbeglücken, um das Land oder die Welt zu retten. Der Esoteriker-Verschwörungs-Fraktion schwebt hingegen eine Art sozialistische Theokratie vor und empfiehlt ihrem Publikum, mit magischen Ritualen mehr Erleuchtung zu gewinnen und die Illuminati-Bösewichte zu bekämpfen.

Bei Oliver Janichs neuem Buch „Die Vereinigten Staaten von Europa“ hingegen haben wir es zu tun mit einem modernen, umfassenderen Enthüllungsbuch, das gleichzeitig unverblümt ein Rekrutierungswerk und ein Manifest der anarchokapitalistischen Bewegung ist. Im Gegensatz zu den anderen Zwangsbeglückern steht hier die These im Mittelpunkt, keinen Zwang gegen niemanden auszuüben und das Prinzip der Freiwiligkeit zum höchsten zu ernennen. Es scheint auf der Hand zu liegen: Der Staat herausgewachsen aus den kranken Hirnen von reichen Kontrollfreaks, mutiert zum nächstgrößeren Moloch namens EU und soll letzten Endes zu einem Weltstaat expandieren.

Utopismus und Revolution finden sich bereits gleich ganz zu Anfang des Buchs in dem Abschnitt namens „Hölle oder Paradies?“:

„Herzlich willkommen im Paradies. Das Paradies hat einen Namen und der fängt ebenfalls mit P an: Privatrechtsgesellschaft. […] Die Philosophie des Libertarismus gründet sich auf einer einzigen Annahme: Mein Körper gehört mir und niemandem sonst. Dieses Axiom ist unbestreitbar, denn wem sollte ihr Körper sonst gehören, wenn nicht ihnen? Jeder der das bestreitet, redet der Sklaverei das Wort.“

Das Problem an diesem wohlklingenden Dogma ist, dass die anarchokapitalistische Lehre sehr viele verschiedene Annahmen macht, die in der Realität gerade denjenigen in die Hände spielen würden, die auf die Rechte anderer pfeifen. Abgesehen davon, wird normalerweise deutlich zwischen Libertarismus und der extremen Form, dem Anarchokapitalismus, unterschieden. Bereits in unserem relativ unfreien Deutschland und Europa verstecken sich unzählige Freiheitsfeinde hinter der Religionsfreiheit, der Demonstrationsfreiheit, dem Recht auf Privatsphäre, dem Recht auf Meinungsfreiheit und so weiter. Alle diese Radikalinskis würden gerne ihren eigenen Staat aufziehen. Deshalb braucht es einen rechtlichen Grundkonsens, der innerhalb klar definierter Staatsgrenzen gilt, der nächste Woche genauso gelten wird wie heute und der vehement verteidigt wird. Innerhalb dieses Rahmens soll der Mensch freiwillig experimentieren wie es ihm gefällt. Wer sich allerdings außerhalb dieses Rahmens bewegt und diesen Rahmen aufheben will, der muss tatsächlich in seinem Handeln eingeschränkt werden.

Verletzt diese Sicht bereits das anarchokapitalistische Schwarz-Weiß-Dogma? Macht einen dies zum Sklaverei-Befürworter? Janich nennt gleich noch die „genialen libertären Denker wie Ludwig von Mises, Murray Rothbard und Hans Hermann-Hoppe.“

Mises verkannte den italienischen Faschismus als “notwendigen Übergangsmechanismus voll mit besten Absichten”, um Europa vor den Kommunisten zu retten und zeigte damit die Grenzen seiner Kompetenz auf. Er diente sogar persönlich dem österreichischen Nationalsozialisten und Diktator Dollfuß. Rothbard wechselte hin und her zwischen Erzkonservativismus und Unterstützung für Nixon, der Neuen Linken, den libertären Gruppen und der Ayn Rand-Sekte. Hoppe wiederum glorifiziert die Monarchie und das Mittelalter. Gemäß seiner Utopie einer Privatrechtsordnung existieren islamisches Scharia-Recht, Scientology-Recht, vatikanisches Recht und unzählige weitere Normen auf deutschem oder europäischem Boden. Die Trennung von Staat und Religion ist aufgehoben. Ob es überhaupt Landesgrenzen geben dürfe, ist ein Streitpunkt unter den Ideologen. Besitzt eine Gruppe irgendwelchen Grund und Boden, kann sie dorthin einladen wen sie will, auch aus dem Ausland. Man kann dort dann unbehelligt Kasernen bauen und Soldaten, Polizisten und “Richter” trainieren. Eine Handvoll riesiger internationaler Sicherheits- und Versicherungskonzerne, Leviathane größer als die meisten Staaten der Welt, hätte die größten Heere und die besten Waffen.

Gleich das zweite Kapitel in „Die Vereinigten Staaten von Europa“ behandelt diese Privatrechtsgesellschaft. Das Kernproblem an Hoppe ist, dass er versucht, rein auf der wirtschaftstheoretischen Ebene Gesellschaftsgruppen zu organisieren, die in praktisch allen Fällen einen Staat wollen und meist irrationale Ideologien und Handlungsweisen pflegen. Wer nicht will, dass jeder Hinz und Kunz, Kommunisten, Faschisten, Monarchisten und religiöse Fanatiker Richter und Polizei und Armee spielen dürfen, der betet angeblich den Gott namens „staatliches Gewaltmonopol“ an. Der deutsche Spießbürger wäre in dem Theoriekonstrukt bei einem riesigen Versicherungskonzern versichert der wiederum zurückgreifen könnte auf Unternehmen mit Panzern und Kampfbombern. Die Sicherheit ganzer Bevölkerungen wird abgetan als Versicherungsangelegenheit.

Der Bürger müsste angeblich nur einen Vertrag unterschreiben und damit wäre die ganze Sache für ihn erledigt. Wenn dann dummerweise doch die Dschihadisten oder Kommunisten versuchen, nach monatelangen unbehelligten Vorbereitungen auf ihren privaten Ländereien die Kontrolle über fremde Gebiete zu erlangen, dann sprängen die großen privaten Sicherheitskonzerne ein und ihr (ausländisches?) Personal würde dann pünktlich zum Arbeitsbeginn erscheinen und die Schützengräben ausheben.

Sobald ein Land oder eine Region alle Steuern und alle Regulierungen abschafft, lädt man automatisch Massen an Verbrechern und fremden Staaten ein, die mit ihrer jeweiligen Strategie versuchen werden, die Freiheit dort zu beenden und ihr System zu etablieren. Bei militärischen und sicherheitsrelevanten Fragen ist es absolut essentiell, möglichst früh Risiken zu erkennen und angemessen zu behandeln. Hat sich unter dem Schutz der Freiheit erst einmal ein Gegner eingegraben, wachsen die Kosten für die Bekämpfung ins Unermessliche. Kein Konzern kann dies ernsthaft kostendeckend versichern. Außerdem haben die Konzerne genau den gleichen Moral Hazard wie Regierungen, Krisen zu schüren und zu managen, die Nachfrage und den Preis nach oben zu treiben und Kartelle zu bilden. Mafiagruppen auszurotten wäre zu teuer, stattdessen ließe sich eine Kooperation vereinbaren: Die Konzerne mischen sich nicht in die großen Geschäfte mit ein, bekommen aber regelmäßig Fische zugeschanzt um den Kunden Erfolge vorzugaukeln. Wenn nicht gleich die Mafia ins Versicherungsgeschäft einsteigt. Sie merken: Die Komplexität des freien Marktes, die uns billige Socken und Fernseher beschert, würde bei Recht und Sicherheit zu einer Preisexplosion führen. Bei den Organen einer Republik hingegen ist alles genormt, die Rechtsstandards überall einheitlich. Ermittler sind auf so etwas angewiesen. Die Republik ließe sich sehr wohl dramatisch verbessern. Jancih will sie komplett loswerden. Nur innerhalb Hoppes fix-und fertiger Papier-Theoriegesellschaft funktioniert alles wie am Schnürchen. Erinnern sie sich: Mises diente Diktatoren.

Auch im Strafrecht und Zivilrechtwäre das Chaos vorprogrammiert: Will jemand vom Süden Deutschlands aus in den Norden Reisen und eine Sightseeing-Tour machen, müsste derjenige unzählige unterschiedliche Bereiche durchschreiten in denen höchst unterschiedliche Rechtsnormen gelten. Das ist wie ein Marathonlauf im Minenfeld. Auch die vorgeschlagenen Schlichter-Firmen, die dann in einem Streitfall entscheiden müssten zwischen weltlichen und religiösen Rechtsnormen, würden schnell das Chaos vergrößern anstatt verkleinern. Wenn ein Versicherungskunde mit den Urteilen oder seiner eigenen Versicherung unzufrieden ist und gegen jene vorgehen will, müsste er eine zweite Versicherung bezahlen. Wenn die diesen Kunden dann überhaupt annimmt. Wer in einer problematischen Gegend wohnt, der wird vielleicht irgendwann auch nicht mehr als Kunde angenommen. Kein Interesse. Zu teuer.

Janich nennt Republikvertreter ganz klar „Staatsjünger“, also Gläubige, und benutzt wie Hoppe Beipiele aus längt vergangene Jahrhunderten für „erfolgreiche“ private Rechtssprechung. Stellen sie sich vor, sie leben in einer Zeit, in der noch keine modernen Ermittlungsmethoden existieren, keine echte Forensik, keine logische Tatrekonstruktion. Glauben sie, dass sie in einer solchen Umgebung Recht zugesprochen bekommen, wenn ihr Kontrahent einflussreicher ist als sie? Auch Janichs angeführter „anarchischer Zustand zwischen Staaten“ kann nicht als toller Beweis gelten, denn in der Realität ist das Verhältnis zwischen Staaten gekennzeichnet von offenem und verdeckten Krieg, Sabotage, Unterwanderung, Betrug und gegenseitiger Erpressung.

Gewaltmonopol?

Hinter dem Gruselbegriff „Gewaltmonopol“ in einer Republik verbirgt sich ein bewusster Mix aus staatlichen und privaten Elementen: Der Bürger einer freiheitlichen Republik hat ein Recht auf Waffenbesitz nicht nur zur Verteidigung seines persönlichen Besitzes und seiner Sicherheit, sondern, wie beispielsweise gemäß der US-Unabhängigkeitserklärung und Verfassung, auch um als Mitglied einer Bürgermiliz tätig zu sein. Erschießt der Bürger einen anderen in Notwehr, muss er eine Überprüfung durch Polizisten und einen Richter über sich ergehen lassen, die weder mit dem Schützen noch mit dem Erschossenen in Verbindung stehen.

Die Bürgermiliz ist weit größer als es die Bundestruppen sind und sie untersteht überhaupt nicht zwingend im Ernstfall der Bundesregierung, sondern nur Offizieren, denen die Milizionäre vertrauen. Ist die Bundesregierung kriminell geworden und ohne physische Gewalt nicht mehr zu korrigieren, darf die Bürgermiliz gemäß der Gründerväter die Bundesregierung gewaltsam stürzen.

Die Angeklagten haben ein klar umrissenes Recht auf Aussageverweigerung, werden nicht gefoltert und haben ein Recht auf Vertretung durch einen privaten, profitorientierten Anwalt, den der Angeklagte sich auf dem freien Markt aussuchen darf.

Der Angeklagte kann außerdem private Ermittlungsfirmen vom freien Markt beauftragen, um ihm nützliche Informationen zu beschaffen. Kann der Angeklagte überzeugend demonstrieren, dass der Richter befangen ist, wird der Richter bei dem Fall durch einen anderen ersetzt. Fällt der Richter ein Urteil, das nicht dem geltenden Spielraum entspricht, wird das Urteil von einer höheren Instanz wieder einkassiert oder korrigiert.

Bei schweren Fällen kann auch eine Jury entscheiden statt dem staatlichen Richter, zusammengesetzt nach dem Zufallsprinzip aus Privatleuten. Klingt das wie die Hölle? Wollen sie wirklich statt einer solchen Justiz tausende Privatfirmen und ihre völlig unterschiedlichen Rechtsnormen und Polizisten ertragen? Muslimische Gerichtsbarkeit in Deutschland? Kommunistische?

Freilich gibt es bei der Justiz in der Republik Moral Hazard, freilich gibt es die auch bei den Privatjustizfirmen. In der Republik hat man es wenigstens mit einem genormten, statischen Ziel zu tun bei der Bekämpfung von Korruption und nicht mit einem privatwirtschaftlichen Flickenteppich wie in der Privatrechtsordnung. Sind Staatsanwälte beispielsweise nicht weisungsgebunden, können sie selbsttätig Ermittlungsverfahren gegen Politiker starten. Es kommt nur darauf an, wie diese Republik designt ist.

Demokratie-Mythen

Das dritte Kapitel baut auf den vorhergehenden auf und dreht sich um die Demokratie, ohne klar zu unterscheiden, dass eine Republik den demokratischen Prozessen nur einen eingeschränkten Spielraum lässt. Selbst wenn 60% der Bürger plötzlich einen illegalen Nonsens befürworten, hätte der Rest das Recht und die Pflicht die republikanische Grundordnung zu verteidigen. Deshalb kommt eine Republik auch mit einem Ewigkeitsanspruch. Das Zulassen von völlig fremden Rechtsnormen wie der Scharia käme da überhaupt nicht in Frage.

Eine Alternative zur Mehrheitsdemokratie und Pöbelherrschaft sei nur die Privatrechtsordnung. Die Republik wird da gar nicht erst erwähnt. In der anarchokapitalistischen Lehre hat die minimalstaatliche Republik keine Chance, sie sei unreparierbar und würde zwangsläufig in eine Tyrannei eskalieren. Dabei sind wir heute doch längst nicht mehr angewiesen auf die beschränkten Möglichkeiten von 1776. Ein staatlicher Funktionär kann sehr wohl Korruption unterbinden und ein Beschneiden der republikanischen Barrieren verhindern. Moderne Psychologen entwickelten eine längst überfällige Wissenschaft des Bösen und fordern ein rigoroses Screening-Verfahren für Staatsbeamte. Bereits jetzt muss ein Polizist viele Eignungstests bestehen. Was liegt näher, als auszuschließen dass Soziopathen und andere Degenerierte Ämter einnehmen? Ob im politischen Bereich, im wirtschaftlichen oder privaten: Unser Problem ist, dass wir uns aus Unwissen für die falschen Menschen entscheiden. Das ist der Knackpunkt der uns bisher permament in den Schlamassel treibt. Schuld sind nicht Ländergrenzen und das Konzept eines einheitlichen Rechtsrahmens.

Sspäter in dem Buch erwähnt Janich sogar die Ponerologie, die psychologische Betrachtung des Bösen in Politik und Gesellschaft. Erwähnt er dabei zumindest die Möglichkeit, die Republik anhand von modernen Screening-Methoden zu verbessern, upzugraden? Finden sie es heraus in Teil 2.

Teil 2 folgt…

AlexBenesch
AlexBenesch
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