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Wie viele weitere Amanda Todds, Anonymous?

Datum:

Ein Kommentar von Alexander Benesch

Die 15-jährige Kanadierin Amanda Michelle Todd nahm sich am 10. Oktober diesen Jahres das Leben.  Ein Online-Psychopath hatte nach bekannter 4Chan/Anonymous-Masche aus Spaß ihr Leben ruiniert. In der siebten Klasse hatte sie versucht, neue Bekanntschaften über ein Videochatprogramm zu machen und entblößte dabei gegenüber einem Fremden ihre Brüste. Dieser erpresste sie prompt mit einem Standbild und forderte weiteres Material.

Ein Standbild aus diesem Chat zirkulierte in den folgenden Weihnachtsferien im Internet, ein Jahr später schuf der Täter ein Facebook-Profil mit der Bilddatei und eskalierte die Situation.
Hacker unter dem Anonymous-Banner „doxten“ (i.e. identifizierten) nun einen 32-jährigen Verdächtigen, gegen den nun ermittelt wird und alles scheint wieder heile PR-Welt im Anonymous-Land. Der Ruf als Rächer der Entrechteten ist wieder gestärkt.

Was ist das Problem an diesem PR-Spin der Hackerszene, den man nun überall auf einschlägigen Portalen wie gulli.com nachlesen kann? Menschen zu quälen war und ist der Sport schlechthin in der 4Chan-Kultur, aus der Anonymous herausgewachsen ist. In typischer Verlogenheitsmanier reagiert man jetzt genau wie einer der Großkonzerne, denen man so gerne Schaden zufügt:

„Scheiße wir haben ein PR-Problem und die Moralschwuchteln regen sich auf. Wer hat einen passenden Vorschlag für einen Spin?“

Flugs behauptet man, der Verantwortliche hätte rein gar nichts mit Anonymous und der assoziierten Kultur gemeinsam. Eine Entblößung der Dreckskultur wird flugs in eine Heldentat umgemünzt.

Vergessen sie die Selbstdarstellungen und den Medien-Hype vom Superheldenkollektiv ohne Struktur: Anonymous war eine Handvoll armselige Figuren mit zeitweiligem Erfolg und hunderte Möchtegerns in IRC-Chaträumen drumherum. Hervorgekrochen waren sie aus der Online-Güllegrube namens 4chan, Treffpunkt für überwiegend männliche englischsprachige Verlierer zwischen 18 und  35 Jahren. Ein solcher hoffnungsloser Fall war auch William.

Mit seinen 21 Jahren hatte er fast jeden Tag auf 4chan verbracht, seit er vor sechs Jahren die Schule verlassen hatte, manchmal viele Stunden lang ohne Unterbrechung. Jemandem im Internet Angst zu machen oder oder ihm wirklich Schaden zuzufügen hieß auf 4chan „life ruin“ – ein Leben ruinieren. Der Hauptgewinn war es, wenn er auf Nacktfotos stieß – die konnte man an Familie, Freunde oder Kollegen des Opfers schicken, entweder um es in eine peinliche Lage zu bringen, oder sogar, um es zu erpressen. Leben zu ruinieren machte William nicht nur Spaß, sondern es verschaffte ihm ein Machtgefühl, das er in der realen Welt nicht kannte.

Nacktfotos zählten zur wichtigsten Ware in 4chan. Ein Todsünde war es dort, eine „Moralschwuchtel“ zu sein, also jemand der über grundlegende menschliche Emotionen wie Empathie verfügte. Ein Poster will zum Beispiel auf 4chan Hilfe für den Versuch rekrutieren, in den Photobucket-Account eines Mädchens einzubrechen um möglichst Nacktfotos abzugreifen, die dann an ihre Freunde und Familienmitglieder versendet werden sollen:  Jen aus Tennessee.

William hatte Lust darauf, während andere meinten „NYPA“, Slang für „wir sind nicht deine Privatarmee“. Er erstellte ein Bildschirmfoto von dem Hack-Aufruf auf 4chan, schickte es Jen und bot ihr dann großzügig einen „Deal“ an: Sie überlässt ihm alle Nacktfotos von sich die sie besitzt und er schützt sie vor weiteren Hacks. Er lud sich schließlich 70 Nacktfotos herunter für seine Privatsammlung und attackierte dann in einem Anflug von Moralschwuchteltum denjenigen, der den Aufruf gestartet hatte.

In irgendeiner Form politisch wurde Anonymous erst durch die schönen Schlagzeilen und die Aufmerksamkeit für die narzisstischen, zerfallenen Seelen. Selbst nach den ersten großen Heldentaten hagelte es intern schärfste Kritik; man mache doch alles nur für die „Lulz“ (i.e. „Spaß“) und diese Moralschwuchteln sollen endlich aufhören, die anderen zu nerven.

Wie viele  Amanda Todds sind noch da draußen? Und wie viele Williams?

Nicht zu vergessen liefert der Cyber-Abschaum wie immer den passenden Vorwand für Regierungen weltweit, neue Online-Gesetze gegen Mobbing zu erlassen, die dann jede mögliche oder eingebildete Beleidigung zu einer Straftat machen.

AlexBenesch
AlexBenesch
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