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Assange vs. Domscheit-Berg: Mehr als nur Seifenoper

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Heute ist das Veröffentlichungsdatum von Daniel Domscheit-Bergs Enthüllungsbuch „Inside WikiLeaks: Meine Zeit bei der gefährlichsten Website der Welt“ und eine Rezension nach der anderen trudelt über die Nachrichtenticker ein. Craig Brown von der UK Daily Mail ließ es nicht an Spott und Häme mangeln:

„Genau wie The Social Network, ein aktueller Film über Facebook, dreht sich Inside Wikileaks um das Paradox eines Soziopathen der anderen vorschreibt wie sie kommunizieren sollen, ein Kontrollfreak der über eine Welt ohne Bosse predigt.“

Die zahlreichen Schilderungen erweitern ein düsteres Bild von Julian Assange, das nicht nur von dessen „professionellen Partnern“ aus den Massenmedien, sondern insbesondere von einigen Personen aus seinem unmittelbaren Umfeld tendenziell oder auch in Details bestätigt wurde. Darüberhinaus lassen sich nachprüfbare Fakten vergleichen mit öffentlichen Aussagen und internen Informationen, die von entsetzten Wikileakern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Voneinander völlig unabhängige Individuen, teilweise auch von verschiedenen Kontinenten, wie John Young oder Birgitta Jónsdóttir, beschrieben die gleiche anfängliche Aufbruchstimmung und die anschließende Desillusionierung, wenn auch nicht unbedingt in Buchform. Um den Dauer-Bluff von Assange, den gravierenden Unterschied zwischen Selbstwahrnehmung und Objektivität zu erkennen, braucht es eigentlich kein Enthüllungsbuch. Beispielsweise findet sich in „Inside Wikileaks“ die Anekdote, Assange hätte geprahlt, mit 14 Jahren einen Nuklearreaktor in seinem Keller gebaut und aus Versehen die Pole vertauscht zu haben. Durch die freiwerdende Gammastrahlung wären seine Haare weiß geworden. Wäre er 6 Jahre alt und nicht ein 39-jähriger Mann, der den Nimbus eines Genies für sich beansprucht und durch seine Handlungen das Leben von Menschen in Gefahr bringen kann, würde man solchen Fabulierungen wohl keine Beachtung schenken. Er hatte Datenbanken von notorisch unzuverlässigen, mit Propaganda angereicherten und von mehreren Parteien bereinigten Schlachtfeldberichten der US-Streitkräfte an die kriegsfreundliche Establishment-Presse weitergereicht und geprahlt, das akkurateste Bild des Irakkrieges geliefert zu haben. Dieser verkündete Sieg für die Friedensbewegung entlastete die Hauptverantwortlichen der Militäraktion von den Kernvorwürfen eines illegalen Angriffskrieges, fälschte die Anzahl der getöteten Irakis um mindestens den Faktor zehn herunter, belastete hauptsächlich Irakis für die Folterexzesse, belastete den Iran für die anhaltende Instabilität und und betonte immer wieder die Notwendigkeit der Ausweitung des Kriegs gegen den Terror. Assange soll regelmäßig interne Kritik abgeblockt haben mit den Worten, er sei zu beschäftigt damit, zwei Kriege zu beenden. Die für Anfang 2011 groß angekündigte Sensation, die „eine oder zwei Großbanken zu Fall bringen“ soll, scheint sich außerdem als Luftnummer zu entpuppen.

Guru

Freiwillige Wikileaks-Helfer in Schweden beschrieben bereits, wie Assange sich als sexbesessener Guru und Rockstar benahm; ein Status der auf seiner Berühmtheit und seinem diffusen Ruhm als Antikriegsikone fußt. Seine Kindheit war diversen Berichten zufolge ausgerechnet vom Kult Anne Hamilton Byrnes beeinflusst, der mit pädophilem Sex und LSD experimentiert hatte. Kulte formen sich für gewöhnlich um charismatische Individuen, die ihre Authorität gegenüber ihren Jüngern mit allerhand fantastischen, übertriebenen und völlig unwahren Geschichten begründen. Domscheit-Berg verbrachte anscheinend genügend Zeit unterwegs mit seinem ehemaligen Partner, um zu beklagen wie abfällig jener mit Frauen umging. Eine der beiden Damen, die in Schweden eine Vergewaltigung zur Anzeige brachten, soll sogar Assange das Bahnticket bezahlt haben. Dies sei typisch für den International Man of Mystery; seiner Erklärung zufolge müsse er ja schließlich verhindern dass sein Aufenthaltsort und seine Reiserouten bekannt werden. Bezahlt er selbst für Essen und andere Ausgaben, könnten ja seine Verfolger anhand von Geldautomaten herausfinden wo er gewesen sei. Dass er allerdings ständig öffentliche Pressekonferenzen gab und sich trotzdem alles zusammenschnorrte während Unsummen an Spenden in seinem undurchsichtigen Finanzgeflecht landeten, machte Leute letztendlich doch stutzig.

Gefahr

Es geht um weitaus mehr als um eine Seifenoper oder eine persönliche Vendetta. Den Massenmedien gelang es mit Hilfe von Assange, gefährlicher Propaganda und unpopulären Kriegsplänen neues Leben einzuhauchen. Für das Establishment harmlose, gar nützliche Skandalenthüllungen sind deshalb so gefährlich, weil sie immer deutlich unter dem Schwellenwert und der Schock-Grenze bleiben, an denen wirklich eine positive Veränderung eintreten kann. Wo Hardcore-Enthüllungen einen Domino-Effekt, eine Lawine auslösen können, korrumpiert Limited Hangout die Bevölkerung und gewöhnt sie an Schmutz und Korruption. Durch den Medien-Spin glaubt der Normalbürger am Ende noch, letzten Endes selbst von den unzähligen kleinen und mittleren illegalen Aktionen seiner Regierung zu profitieren, etwa durch Schutz vor Terrorismus oder durch Sicherung von Rohstoffnachschub und Handelswegen. Oder der Otto-Normal-Wähler fühlt sich irgendwann gelangweilt und frustriert von all den Skandälchen, weil sich sowieso nichts zum Besseren verändert.

Zahlreiche Menschen trauten wie selbstverständlich dem inzwischen in sich zusammengefallenen Selbstbildnis von Wikileaks, der Bluff über hunderte, gar tausende kompetente und motivierte Mitarbeiter, brillianter Sicherheit und unbeflecktem Ethos. Lange wurde der Eindruck aufrechterhalten, man prüfe unter großem Aufwand selber die Dokumente vor der Veröffentlichung. Menschen spendeten Geld an eine Organisation, die in dieser Form überhaupt nicht existierte. Domscheit-Berg schreibt von maximal zwei bis fünf Mitarbeitern, der Rest soll aus Mehrfach-Indentitäten von Assange bestanden und dessen Fantasie entsprungen sein. Inside Wikileaks ergänzt bereits existierende, gravierende Zweifel an dem versprochenen Quellenschutz und zeigt eine ernüchternde Realität. Teils verurteilte Computerhacker von veschiedenen Kontinenten, die sich nicht einmal persönlich kannten und sich gegenseitig auch nicht überprüfen konnten, handhabten sensibles Material und Informationen. Gründliche gegenseitige Background-Checks der Wikileaker? Fehlanzeige. Es reichte anscheinend, sich früh einen Namen in der Hackerszene gemacht zu haben und die gleiche anarchistische Literatur zu lesen. Das obwohl zahlreiche alteingesessene Hacker-Größen wie „Mudge“ oder Adrian Lamo inzwischen offen für das Pentagon und den Heimatschutz arbeiten und andere Hacker jagen. Der Hacker Eric Gorden Corley (Pseudonym “Emmanuel Goldstein”), der auch die Szenepublikation 2600 betreut, verkündete am 18. Juli 2010 bei der HOPE-Konferenz vor rund 3000 Kollegen, dass bis zu 25% der Hacker in irgendeiner Form als Informanten für die Behörden tätig seien. Dagegen könne man nichts tun und müsste mit dieser Situation leben, hieß es resigniert. Assange bekam für zahlreiche Hacking-Verbrechen nur einen Klaps auf die Hand und stand im Anschluss mit amerikanischen Forschern von der NASA und dem Los Alamos National Laboratory in Kontakt, die daran arbeiteten wie die Regierung ihre Geheimnisse besser schützen kann. Domscheit-Berg attestiert Assange, wie auch andere die mit ihm gearbeitet haben, paranoides Verhalten wenn es darum geht den eigenen Mythos zu nähren, Frauen aufzureißen und Dinge zu schnorren, gleichzeitig soll das Verhalten des Gurus von einer deutlichen Sorglosigkeit und Schlamperei gekennzeichnet gewesen sein:

„Das absurde war dass er derjenige gewesen ist der ständig Dinge verloren oder vergessen hat. Und das war genau das was er mir vorwarf. Wenn Julian aber etwas falsch machte, war irgendetwas anderes normalerweise der Grund dafür. Er hatte immer eine ausschweifende Erklärung, manchmal eine die ihn als Helden darstellte.“

Da Domscheit-Berg seine eigene Whistleblower-Plattform Openleaks etablieren und wohl nicht das Vertrauen in sich selbst untergraben möchte, stellt sich die Frage ob wir in dem Buch tatsächlich das Ausmaß der Versäumisse und Sicherheitslücken geschildert bekommen.

Philosophie

Daniel Domscheit-Berg arbeitete für den amerikanischen IT-Giganten EAD, was er nicht gerne an die große Glocke hängt, seine Frau ist Berichten zufolge für Microsoft Germany tätig in der heiklen Funktion als Vermittlerin zur deutschen Bundesregierung. Dies brachte ihm in der IT-Szene Buhrufe ein, allerdings leben viele mit diesem Dilemma, Jobs ausüben zu müssen mit denen man seine Rechnungen bezahlt, die einem aber ideologisch zuwider sind. Er nennt Pierre-Joseph Proudhons Buch „What is Property“ das „wichtigste Buch das jemals geschrieben wurde“ und gibt uns damit Einblick in seine philosophische Denkweise. Es handelt sich dabei  um das Werk, das den jungen Karl Marx davon überzeugt haben soll, die Abschaffung des Privatbesitzes zu fordern. Proudhon war Freimauer, Sozialist, Antisemit und der erste, der sich selbst als Anarchisten bezeichnete. Wenigstens forderte er keine zentrale Planwirtschaft und völligen Staatsbesitz, dafür aber wie Marx eine Zentralbank und eine Einkommenssteuer. In dem befürworteten System des Mutualismus, erhält ein Individuum oder eine „commune“ für ihre Arbeit oder ihre Produkte vom Käufer wiederum Güter oder Dienste von exakt der gleichen „Nützlichkeit“. Wir erkennen diverse ideologische Überschneidungen mit den Piraten-Parteien, die ja oft mit Wikileaks kooperieren und illegales Filesharing von allem möglichen geistigen Eigentum entkriminalisieren möchten. Dummerweise ist es nun gerade Wikileaks, das als Beispiel undurchsichtiger Finanzen, fehlender Transparenz und autokratischer Herrschaft negativ auffällt. Hätten nicht gerade die Hacker von Wikileaks ein Paradebeispiel abliefern müssen, was unkonventionelle Organisation betrifft? Wer soll der Hacker-Anarcho-Ideologie zufolge Ressourcen, Arbeit und Gütern Werte beimessen um diese zu tauschen? Auch wenn wir bei Proudhon nicht den Zentralisierungswahn von Marx und anderen widerfinden, sehen wir den gleichen Grundfehler wie in anderen sozialistischen Spielarten. Der Diplom-Volkswirt Roland Baader erklärt in Geld, Gold und Gottspieler:

„Otto Normalbürger glaubt, der Wert eines Gutes sei objektiv meßbar, also dem Gut irgendwie inhärent und allgemeingültig zuordenbar. Dem ist aber nicht so.  Es gibt keinen objektiven Wert, keinen einer Sache intrinsisch zugehörigen Wert – und somit gibt es auch keine Möglichkeit, den Wert eines Gutes zu messen. Jeder Wert ist ein Phänomen der subjektiven Bewertung und nur ordinal auf der Präferenzskala eines Individuums einreihbar. Und da es ebenso viele Präferenzskalen gibt wie Menschen auf der Erde – und weil sich diese Rangfolge der subjektiven Wertschätzungen bei allen Menschen auch noch permanent ändert, kann der Wert einer Sache oder Leistung niemals gegeben oder objektiv feststellbar sein.“

Auch die alten Mythen über Handel und Profit sind nicht mehr zeitgemäß:

„Der Nichtökonom sieht im Tausch ein „Gleich gegen Gleich“, also eine Art Nullsummenspiel; manchmal auch einen betrügerischen Vorgang, bei dem der Gewinn des einen der Verlust des anderen ist. Aber das ist – mit Ausnahme des absichtlichen Betrugs – ein Irrtum. Wenn ich ins Restaurant gehe und mir ein Essen für 12 Euro bestelle, dann sieht es so aus als sei sowohl dem Wirt als auch mir dieses Essen 12 Euro wert. Dem ist aber nicht so, denn zum Angebot des Essens durch den Wirt und zur Nachfrage durch mich kommt es nur dann, wenn mir das betreffende Gericht mehr wert ist als meine 12 Euro […] und wenn dem Wirt meine 12 Euro mehr wert sind als sein Gericht. Warum sollten sich die Tauschpartner einer Mühe unterziehen, wenn nicht jeder beim Tauschakt gewinnen würde. Der Tausch ist also generell ein win-win-spiel.“

Seifenoper

Die gegenseitigen Attacken haben nicht nur einen morbiden Unterhaltungswert. Wikileaks veröffentlichte eine dramatisch klingende Pressemitteilung mit der Ankündigung, man hätte juristische Schritte gegen Domscheit-Berg eingeleitet wegen Verleumdung, Sabotage und Diebstahl von Datenmaterial. Domscheit-Bergs Rolle wird heruntergespielt auf die eines unwichtigen Sprechers, der sich fälschlicherweise ausgegeben hätte als Programmierer, Sicherheitsexperte, Editor und Mitbegründer. Er könne überhaupt nicht programmieren, heißt es gar. In Stichpunkten reagierte Domscheit-Berg, dass sich hinter den juristischen Schritten nicht mehr verberge als ein in schlechtem Deutsch verfasster Brief des deutschen Anwalts Johannes Eisenberg, der nur ein Statement darstellt und kein Gesetz und keine Richtlinie bennent die gebrochen worden sein soll. Derjenige, der den elektronischen Wikileaks-Briefkasten entworfen hatte, habe Wikileaks die Benutzung desselbigen entzogen. Domscheit-Berg habe zwei Abschlüsse in IT und arbeitete rund 6 Jahre als Network Security Engineer.
Auf der Liste der “Vorstandsmitglieder” die früher noch bei Wikileaks einsehbar war, heißt es dass Julian Assange

•“37 Schulen und 6 Universitäten besucht hat”, jedoch wird keine einzige davon namentlich genannt
•“Australiens berühmtester ethischer Computerhacker ist”. Ein Gerichtsprozess von 1996, der häufig in der Mainstream-Presse zitiert wird, ist verfügbar auf der Seite des Australasian Legal Information Institute. Im Gegensatz zu allen anderen Fällen unter dem Link ist der komplette Text von Assanges Fall nicht verfügbar.
•“in dem ersten solchen Gerichtsfall […]  [er] einen Fall vor dem obersten Gerichtshof verteidigte im Bezug auf seine Rolle als Editor eines Magazins für elektronischen Aktivismus”. Der Name des Magazins, das Jahr des Verfahrens, das Land und sonstige Informationen werden nicht erwähnt.
•angeblich “die Pickup-Bürgerrechtsgruppe für Kinder” gründete. Es scheint nirgendwo Informationen über die Organisation zu geben außer Erwähnungen in Artikeln über Wikileaks.
•“Mathematik, Philosophie und Neurowissenschaft studiert hat”. Wir wissen nicht wo er studiert hat und ob er irgendwelche Abschlüsse gemacht hat.

AlexBenesch
AlexBenesch
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