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Merkel trifft Putin – und keiner darf zuhören

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Boris Reitschuster:

„Das ist ja wie zu DDR-Zeiten“, empörte sich ein Kollege, der diese Zeiten noch erlebt hatte, darüber, dass Kanzler Schröder und Putin auf einer gemeinsamen Pressekonferenz 2004 in Moskau keine Fragen zuließen. Heute geschah genau das gleiche in Deutschland – diesmal zwischen Merkel und Putin. Keine Fragen. Politik als Geheimsache. Roter Teppich für einen Diktator, Kritik allenfalls mit den Samthandschuhen. Genauso die meisten Medien-Berichte.

Warum die Samthandschuhe? Je mehr Freiraum und Quer-Hilfe man Russland gegeben hat, umso mehr konnte sich die NATO aufblasen. Wenn es knallt, kann wieder alles auf die Politiker und den politischen Streit geschoben werden.

Der Russland-Experte Torsten Mann schrieb dazu Folgendes:

Tatsächlich ist die Behauptung, Russland werde durch amerikanische Stützpunkte eingekreist, strategischer Unsinn, wie das Beispiel Afghanistan deutlich zeigt. Schon frühzeitig hat der amerikanische Politologe Jeff Nyquist darauf hingewiesen, dass Afghanistan in strategischer Hinsicht ein sehr schlechter Stationierungsort für amerikanische Truppen ist, falls ein Krieg mit Sowjetrussland und Rotchina ausbricht. Denn alle Staaten, die an Afghanistan angrenzen und durch welche die so wichtigen Nachschubwege verlaufen, sind dem östlichen Lager zuzurechnen, was nicht nur für die »ehemaligen« Sowjetrepubliken gilt, sondern auch für den Iran und das mit Rotchina verbündete Pakistan. Um die in Afghanistan stationierten Truppen versorgen zu können, ist die NATO somit von der Willkür Moskaus und Pekings abhängig. Ähnliches gilt für viele andere dieser sogenannten »Einkreisungsbasen«, aus denen jeweils ein neues Stalingrad zu werden droht, wenn es in einem potentiellen Ernstfall nicht mehr versorgt werden kann. Dass diese Einschätzung tatsächlich korrekt ist, zeigte sich im April 2014, als die russische Staatspropaganda triumphierend verkündete, dass Präsident Putin jeglichen Transport von NATO-Militärgütern über russisches Staatsgebiet untersagt habe, wodurch der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan für die NATO und die USA zu einem »logistischen Alptraum« geworden sei. Wörtlich hieß es: »Das US-Militär lernt auf die harte Tour aus seiner langen Erfahrung in Afghanistan, dass es weitaus einfacher ist, sich in einem ausländischen Abenteuer zu verzetteln, als sich daraus wieder herauszuziehen. Eingeschlossen, isoliert und auf allen Seiten von potentiellen Feinden umzingelt, ist der Abzug von Truppen und Ausrüstung aus dem zentralasiatischen Land bis Ende 2014 für Washington mit zahlreichen Hindernissen besetzt.«[i] Eine nüchterne Analyse der Fakten zeigt, dass von einer Einkreisung Russlands durch die in Zentralasien stationierten US-Truppen keine Rede sein kann. Vielmehr ist es genau umgekehrt, die dortigen NATO-Kontingente sitzen in einer durch die strategische Inkompetenz der westlichen Politik selbst verursachten Falle.

Der russische Regimegegner Wladimir Bukowski hatte schon 1982 erklärt, dass der Kreml die Einkreisungslüge seit Jahrzehnten dazu benutzt, seine ungeheuerlichen Militärausgaben zu rechtfertigen und dem russischen Volk »eine pathologische Furcht vor der kapitalistischen Welt einzuflößen«.[ii] Noch heute dient sie dazu, das russische Volk gegen ein westliches Feindbild aufzuhetzen und einen Vorwand für die massive Militarisierung des russischen Staates zu liefern. Gleichzeitig fordert Moskau die westlichen Staaten damit zu einer Appeasement-Politik gegenüber Sowjetrussland auf, und leider ist die westliche Politik auch dumm genug, darauf hereinzufallen, was sich in politischen Beschlüssen äußert, die von dem Gedanken motiviert sind, Moskau nicht durch Maßnahmen zu provozieren, die im Sinne einer vernünftigen Verteidigungspolitik eigentlich dringend geboten wären. Schon in früheren Jahrzehnten war die Einkreisungslüge, wie Bukowski schrieb, zu diesem Zweck sehr geschickt eingesetzt worden und »westliche Regierungen erlaubten es den Sowjets unter ihrem Einfluss bewusst, militärische Überlegenheit zu erringen«.

In Zeiten, in denen die westliche Verteidigungsfähigkeit immer weiter reduziert wird, so dass Westeuropa schon bald als quasi entmilitarisierte Zone betrachtet werden muss, gelingt es Moskau unter Verweis auf seine angebliche Einkreisung zum Beispiel, Atomraketen im russisch besetzten Ostpreußen zu stationieren, welche Westeuropa bedrohen, ohne dass sich Widerstand dagegen regt. Anstatt mit Empörung und Besorgnis darauf zu reagieren, zeigt eine desinformierte westliche Öffentlichkeit zunehmendes Verständnis für diesen offensichtlichen Akt nackter Aggression, der den Beginn eines neuen Wettrüstens signalisieren könnte, welches von Moskau laut Überläuferberichten bewusst geplant ist. In letzter Konsequenz ist der beunruhigendste Aspekt der Einkreisungslüge die Tatsache, dass sie grundsätzlich nicht nur die psychologische Grundlage für einen neuen Kalten Krieg schafft, sondern im Sinne proaktiver Desinformation auch für einen Angriffskrieg, den der Kreml vor ihrem Hintergrund jederzeit als Präventivschlag ausgeben könnte. Genau diesen Zweck verfolgte die Einkreisungslüge auch schon zu Stalins Zeiten, als dieser den Angriff auf Westeuropa plante.

Ganz im Sinne der kommunistischen Dialektik lag diesem Plan offenbar die Überlegung zugrunde, dass die politische Linke nicht dauerhaft an die Macht gelangen und die Gesellschaft in den Sozialismus überführen könne, ohne eine authentische Gegenreaktion konservativer und rechter Kräfte auszulösen. Wie Sejna berichtete, rechneten die sowjetischen Strategen sogar mit einer Art von Militärputsch. Es ist nachvollziehbar, dass Moskau dem Aufkommen einer authentischen rechten Opposition gegen das sozialistische Vereinte Europa schon frühzeitig durch die Unterwanderung und Instrumentalisierung rechter Parteien und Organisationen zu begegnen versuchte. Die aktuell europaweit zu beobachtende Orientierung pseudorechter Parteien nach Russland steht zweifellos damit im Zusammenhang und es liegt auf der Hand, dass Moskau den lange erwarteten Rechtsrutsch deshalb aktiv schürt, um ihn kontrollierbar zu halten und ihn unter die Führung seiner pseudorechten Agenten zu bekommen.

Entscheidend ist, wie Sejna das weitere Vorgehen Moskaus beschrieb, falls es tatsächlich zu einem solchen Rechtsrutsch in Verbindung mit einem Ende der NATO kommen würde: »In diesem Fall beabsichtigte der Kreml ein solches Ereignis vor der Öffentlichkeit als Bedrohung für die Sicherheit Osteuropas darzustellen und mit einem Militäreinsatz zu drohen. Und dies wäre keine leere Drohung. Die Russen waren tatsächlich bereit, einen Krieg gegen Deutschland anzufangen um eine sozialistische Regierung zu erhalten.«

AlexBenesch
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